30. Januar 2023

….Messerangriff in Schleswig-Holstein, Straftäter war kurz zuvor inhaftiert….

Entsetzt, wütend und traurig macht die Gewalttat in Schleswig-Holstein, in deren Folge zwei Menschen starben. Ein schweres Verbrechen, das in Deutschland und Europa leider kein Einzelfall mehr ist. In den letzten Jahren gab es mehrere Vorfälle dieser Art, auch in Form von Messerangriffen, die meist extremistisch motiviert waren und/oder durch psychisch schwer gestörte Personen begangen wurden, bei denen Opfer zu beklagen sind. Psychisch auffällig ist auch der mutmaßliche Straftäter, der die Messerattacke in der Schleswig-Holsteiner Regionalbahn beging. In diesem Fall ein Mann, der bereits wegen Straftaten in ähnlicher Form inhaftiert war. Zuletzt in der JVA Billwerder in Hamburg. Schnell werden in den Medien Fragen gestellt. War diese Straftat zu verhindern? Was war das Motiv? Wer ist schuld?

Dabei scheint es in erster Linie nur um die Story und Schlagzeilen zu gehen. Weniger hingegen um Aufklärung bemüht zu sein. Schnell gerät in den Hintergrund, dass der wahre Schuldige und Verbrecher - der Messerstecher selbst ist.

Es gibt Familien die Opfer zu beklagen haben, denen man schnellstmöglich Hilfe zukommen lassen sollte und denen unser tiefes Mitgefühl gilt.

Statt also nach möglichen Ursachen zu suchen, um solche Straftaten bestmöglich zu verhindern, wird in der Verwaltung und Politik nach SCHULDIGEN gesucht. Einige Medienvertreter haben eine Mitschuld offensichtlich am Justizvollzug festgemacht, wie bereits vor wenigen Wochen bei der Geiselnahme in der JVA Burg. Teile der Medien berichteten ohne die Ermittlungsergebnisse abzuwarten, vorschnell pauschal und zum Teil schlecht recherchiert.

Auch in diesem Fall hat man Pauschalisierungen schnell zur Hand.

Versäumnisse jahrelanger Untätigkeit der politischen Gremien werden den aktuell handelnden Verantwortlichen zugeschoben, die jedoch bereits dabei sind, die Untätigkeit ihrer Vorgänger aufzuarbeiten. Diese Straftat also dem Verantwortungsbereich der Hamburger Justizbehörde und der amtierenden Hamburger Justizsenatorin Gallina zuzuordnen, ist nicht nur falsch, sondern aus Sicht des BSBD Landesverbandes LVHS unredlich. Behörden können nur so gut sein, wie es vorhandene Strukturen und Vernetzungen zulassen.

Statt Schuldzuweisungen erwarten wir vielmehr, dass sich die gesamte regierende Landespolitik und Bundespolitik inklusive des Bundesjustizministeriums dieses Problems annimmt. Psychisch auffällige Straftäter müssen erkannt werden und falls notwendig nach einer psychologischen und psychiatrischen Begutachtung in geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen wie dem Maßregelvollzug untergebracht werden. Viel zu lange haben die Regierungen zu wenig in den Justizvollzug investiert. In der Realität ist die Zahl psychiatrisch auffälliger Personen in den Haftanstalten enorm gestiegen. Selbst schwer gestörte Personen werden nicht in geschlossene psychiatrische Einrichtungen verlegt, da schlichtweg keine Plätze vorhanden sind. In einigen Ländern werden trotz zahlreicher festgestellter Rechtswidrigkeit von Landgerichten, immer noch psychiatrisch behandlungsbedürftige Personen gemäß 126 a StPO in Haftanstalten untergebracht. So seit gut zwei Jahren in HH die Regel. Der deutsche Justizvollzug ist für die Unterbringung psychiatrisch Kranker weder geeignet noch vorbereitet. Die Sozial- und Gesundheitsbehörden sind für diesen Personenkreis zuständig und haben es sträflich versäumt entsprechende Unterbringungskapazitäten zu schaffen, was jetzt zulasten des Justizvollzuges geht. Ein Umstand der in Bezug zu derartigen Straftaten nicht einmal erwähnt wird. Personelle Ausstattungen in den Justizvollzugsanstalten müssen deutlich gesteigert und freie Stellen endlich besetzt werden! Nur so sind bessere Beobachtung und Betreuung der Inhaftierten möglich, aber auch das Erkennen von Auffälligkeiten sowie ggf. bereits geplanter Straftaten. Die psychiatrische und psychologische Versorgungsdichte im Justizvollzug muss deutlich erhöht werden. Viele Bundesländer benötigen eigene psychiatrische Stationen in den Haftanstalten, auf denen niederschwellig psychiatrisch auffällige Inhaftierte untergebracht werden. Diese Stationen müssen mit psychiatrischen Krankenpflegerinnen besetzt werden, die in vollzuglichen Aufgaben unterwiesen sind. Zudem scheint es angesichts der gestiegenen Auffälligkeiten unabdingbar, die Kolleginnen und Kollegen des Justizvollzuges auch mit Grundelementen der psychiatrischen Betreuung intensiv vertraut zu machen und zu unterrichten.

Noch ist das Motiv des „Messerstechers in S-H“ nicht bekannt und ein extremistisches Motiv zudem nicht ausgeschlossen.

Die personelle Verstärkung des Justizvollzuges gilt gleichermaßen zur Erkennung radikaler und extremistischer Tendenzen sowie der möglichen Planung von Straftaten Inhaftierter aus dieser Richtung. Um den Justizvollzug der Länder zu unterstützen und die Sicherheit des Landes noch weiter zu erhöhen, hat der BSBD dem BMJ bereits mehrfach die zentrale Unterbringung extremistischer Straf- und Untersuchungshaftgefangener in zu schaffenden Hafteinrichtungen des Bundes vorgeschlagen. Somit wäre ein zentrales Hilfsangebot für die Unterstützung und Betreuung aussteige williger Extremisten geschaffen, wie auch die Beobachtung nach wie vor radikalisierter Straftäter und eine einfachere und schnellere Vernetzung der Vollzugs- und Nachrichtenbehörden. Des Weiteren muss aus Sicht des BSBD die Kommunikation zwischen den Vollzugsbehörden der Bundesländer bis hin zu den europäischen Institutionen, die mit der Beobachtung von Extremisten betraut sind, verbessert werden. Auffälligkeiten, die im Justizvollzug eines Bundeslandes festgestellt werden, müssen bei einer erneuten Inhaftierung der neuen Hafteinrichtung sofort zur Verfügung stehen. Im Justizvollzug erworbene Erkenntnisse und Informationen zu Personen, die hinsichtlich möglicher Gewaltstraftaten auffällig sind, müssen auch den polizeilichen Behörden vorliegen.

Ebenso wichtig ist der Verweis auf eine unserer Hauptaufgaben, die Resozialisierung. Aufgrund der Zunahme der schwierigen Klientel und der zahlreichen zusätzlichen Aufgaben (z.B. Unterbringung psychisch Kranker, Unterbringung von Extremisten und Gefährdern, Unterstützung der Gerichte bei der Durchführung von Gerichtsprozessen, gestiegenes Aufkommen von Aus- und Vorführungen etc.) gerät die Resozialisierung immer weiter ins Hintertreffen bis hin zur fast vollständigen Vernachlässigung. Schuld dafür ist auch hier der bereits geschilderte eklatante Personalmangel. Das Zögern der Politik, die Tätigkeiten im Justizvollzug entsprechend zu honorieren und die mangelnde Anpassungsfähigkeit der Justizministerien an den gestiegenen Personalbedarf, die Berücksichtigung eines adäquaten Personalausfallschlüssels und die Flexibilisierung der Arbeitszeitmodelle, wirft den deutschen Justizvollzug immer weiter zurück und trägt nicht zur Gewinnung von neuen MitarbeiterInnen bei. Mit jeder aus der Haft entlassenen Person, die integriert und resozialisiert ist, sinkt die Gefahr weiterer Straftaten und erhöht damit die Sicherheit der Bevölkerung und des Landes, damit solche furchtbaren Straftaten wie die in Schleswig-Holstein begangene, zumindest durch entlassene Straftäter möglichst nicht mehr vorkommen oder rechtzeitig verhindert werden.