20. November 2020

Positionspapier der Fachgewerkschaft Strafvollzug zum Umgang mit Extremisten in Haft

 

Die Terroranschläge der jüngsten Vergangenheit in Frankreich, Deutschland und Österreich sorgen auch in Kreisen der Fachgewerkschaft Strafvollzug (BSBD) für Diskussionen zur aktuellen Lage. Mit Sorge stellt diese fest, dass Anschläge unter anderem von zuvor inhaftierten und kurz vor den jeweiligen Anschlägen entlassenen Straftätern verübt wurden. Die gegenwärtige Situation des deutschen Strafvollzuges und die aus Gewerkschaftssicht fehlende bundeseinheitliche Konzeption in der Arbeit mit extremistischen Straftätern gibt Anlass zur Sorge und sollte in die Überlegungen der Bundesregierung zur Terrorismusbekämpfung einbezogen werden.

Der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD) warnt daher vor der zunehmenden Terrorgefahr von aus der Haft entlassenen Straftätern mit radikaler Gesinnung und mahnt ein zügiges bundeseinheitliches Vorgehen an. Der BSBD präferiert ein zentrales Bundesgefängnis für die Unterbringung, Sicherung und Sozialisierung/Resozialisierung dieses Täterkreises, da die Haftanstalten der Bundesländer gegenwärtig bereits mit den bestehenden Aufgaben überlastet sind. Nach offiziellen Angaben sind dem BKA 660 religiöse Gefährder bekannt. Allein 370 in Deutschland und davon befanden sich Ende 2019 etwa 105 in Haft. Zudem sind 60 der rechten Szene zuzuordnende Gefährder bekannt, von denen etwa 24 Personen inhaftiert sind. Nach dem Strafvollzugsgesetz sollen Straftäter befähigt werden, zukünftig ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu führen. Weiterhin dient der Vollzug der Freiheitsstrafe dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. So ist es zumindest in den Strafvollzugsgesetzen der Länder verankert. Aufgabe des Justizvollzuges ist auch der Untersuchungshaftvollzug zur Sicherung des Strafprozesses und der späteren Strafvollstreckung. Er dient dazu den Beschuldigten während des Strafverfahrens sicher zu verwahren und den Gefahren von Verdunkelung und Wiederholung entgegenzuwirken. Allein der Vollzug der Untersuchungshaft stellt die deutschen Haftanstalten vor enorme personelle und logistische Aufgaben, um den Ansprüchen des Untersuchungshaftvollzuges zu genügen.

Die anschließende Strafhaft dient demzufolge der Behandlung und Resozialisierung der Straftäter.

Wenn wir es nicht schaffen diesen Gewalttätern bereits im Justizvollzug  tolerante Sichtweisen auf andere Religionen und Kulturen zu vermitteln und Lebensperspektiven durch Integration aufzuzeigen, werden wir zwangsläufig weiterhin mit terroristischen Gewaltstraftaten entlassener Strafgefangener aus extremistischen Bereichen rechnen müssen. Die gegenwärtigen Ressourcen im deutschen Justizvollzug reichen nicht aus, um diesen Täterkreis umfassend zu resozialisieren. Die Anschläge der jüngsten Vergangenheit die offensichtlich einen terroristischen Hintergrund haben, wurden u. a. durch kurz zuvor aus der Haft entlassene Strafgefangene verübt. Wie hoch die Dunkelziffer radikal ideologisch dogmatisierter Inhaftierter tatsächlich ist, bleibt unbekannt. Der BSBD geht davon aus, dass bspw. die Zahl der mit dem Islamischen Staat sympathisierender Gefangener höher ist als bisher angenommen. Der BSBD bemängelt in diesem Zusammenhang eine gemeinsame Unterbringung extremistischer Straftäter mit anderen Inhaftierten. Gerade Menschen, die sich neu in Haft befinden (Erstinhaftierte) sind anfällig für radikales Gedankengut, da sie zunächst Halt in etwas Vertrautem suchen und das in einer für sie vorerst scheinbar perspektivlosen Situation. Hier versuchen die Extremisten bereits haltsuchende Gefangene für ihre politischen oder religiösen Ansichten zu rekrutieren, zu instrumentalisieren und in ihren bislang gemäßigten Ansichten von Politik und Religion zu radikalisieren. Eine Trennung und Differenzierung der Straftäter ist daher alternativlos, denn einmal in diesem Teufelskreis gefangen, finden diese Menschen nur schwer wieder hinaus.

Es gibt in den Bundesländern Deradikalisierungs- und Aussteigerprogramme, diese ersetzen jedoch nicht den täglichen Umgang mit dieser Täterklientel. Bereits im allgemeinen Haftalltag muss diesem Täterkreis vermitteln werden, dass die Erreichung eines Zieles mit friedlichen Mitteln zu bewerkstelligen ist und dass sich die moralischen Werte einer zivilisierten Gesellschaft aus dem Lebensumfeld und dem sozialen Miteinander ergeben. Eine stetige Beobachtung und Lageeinschätzung des geschulten Vollzugspersonals ist wichtiger Bestandteil der weiteren Arbeit im Gefängnisalltag.

Es muss also klar differenziert werden zwischen extremistischen Straftätern, die sich mit ihrer Tat auseinandersetzen, die bereit sind in eine Diskussion einzutreten, die gewillt sind an der Sozialisierung/Resozialisierung mitzuwirken, die sich in unsere Gesellschaft integrieren möchten und denen, die eine aggressive Verweigerungshaltung einnehmen und jedwede Hilfsangebote ablehnen. Das heißt, zwischen denen zu unterscheiden, die eine Meinung des Andersdenkenden akzeptieren und tolerieren und jenen Menschen, denen jedes Mittel zur Zielerreichung recht ist, auch unter Anwendung von Gewalt. Aus diesem Grund regt der BSBD eine zentrale Hafteinrichtung unter Aufsicht des Bundes an, in der die Strafhaft vollzogen wird sowie in Fällen, in denen die Generalstaatanwaltschaft die Ermittlungen und die Anklage führt, auch der Vollzug der Untersuchungshaft. Eine Haftanstalt, in der Straftäter, deren Tat dem extremistischen Spektrum zuzuordnen ist, beobachtet und sozialisiert werden.

 Dazu gehört eine stetige Evaluierung des bestehenden Behandlungskonzeptes, gegebenenfalls auch die Feststellung, dass es nicht möglich ist alle Straftäter in unsere Gesellschaft zu integrieren. Hier werden dann behördenübergreifende zentral gesteuerte Maßnahmen, wie die weitere Überwachung etc. notwendig, die aus einer zentralen Einrichtung für andere Sicherheitsbehörden wesentlich besser organisiert werden können.

Momentan erfolgt die Resozialisierung in den deutschen Justizvollzugsanstalten nach dem Gießkannenprinzip. Um diesen Täterkreis zu beobachten und eine Betreuung sicherzustellen, ist es zwingend notwendig, sich umfassend mit deren Ideologie auseinanderzusetzen und Programme sowie Konzepte anzubieten, die sie zu einem Umdenken bewegen. Die zu knappen Ressourcen des Justizvollzuges in den Bundesländern reichen nicht aus, Straftäter so zu betreuen, dass sie zukünftig straffrei leben werden. Erst recht nicht, wenn sie einem radikal religiösen oder politischen Dogma folgen.